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"Der Exotismus in Bezug auf Lateinamerika ist auch in großen Teilen etwas, was wir selber produziert haben."

Wie kamen Sie auf die Idee, eine Galerie mit Kunst aus Lateinamerika zu eröffnen?

 

Wildpalms ist durch einen organischen Prozess entstanden. Dass es heute eine Galerie ist, ist Teil der Suche nach einer besseren Form, mit der wir bestimmte Ziele erreichen können. Die Galerie hat einen Schwerpunkt auf Lateinamerika aus mehreren Gründen.

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Erstens sind es die heutigen Herausforderungen: Umwelt und die Rolle des Gemeinsamen in einer kapitalistischen Gesellschaft, die Individualität anstrebt, werden von lateinamerikanischen KünstlerInnen holistisch, kreativ und ästhetisch sehr gut erfasst und bearbeitet. Diese 2 Aspekte, Umwelt und Community (Gemeinschaft), sind nicht voneinander zu trennen. „Climate justice“ entspricht „social justice“.Und das können KünstlerInnen aus Lateinamerika besser verstehen als diejenigen, die nur an Formalismus denken und damit arbeiten. In der neuen Welt, die wir heute bewohnen, in dieser neuen Geopolitik, brauchen wir neue künstlerische Strategien und Mut das Neue zu erfassen.

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Zweitens, der Background. Ich bin, wie viele unserer KünstlerInnen ein „diasporisches“ Wesen. Ich habe in Deutschland Kunstgeschichte studiert, aber auch Kunst und Philosophie in Kolumbien. Alexandra ist in Deutschland und den USA aufgewachsen und hat in diesen zwei Ländern ihr Studium abgeschlossen. Daher verstehen wir, wie und an welchen Stellen Kultursysteme funktionieren und nicht funktionieren. Wir sehen und kritisieren, wie der künstlerische Kanon sich gebildet hat, denn bis dato funktioniert er durch die Ausgrenzung anderer Formen, die sich nicht dem europäischen Konzept von Kunst anpassen.

 

Drittens, die Notwendigkeit, aber auch das Schenken. Die deutsche Kulturlandschaft hat wenige Verbindungen zu Lateinamerika – abgesehen vom Goethe-Institut, was eher eine one way Verbindung ist. In Kunstsammlungen von Museen befinden sich wenige Arbeiten von KünstlerInnen des lateinamerikanischen Kontinents, auch aus der Karibik, obwohl Berlin eine internationale Stadt und das deutsche Ausbildungssystem sehr attraktiv für Studierende aus Lateinamerika ist. Am Ende fehlt in deutschen Sammlungen ein ganzer Kontinent. Das bezieht sich nicht nur auf Objekte, sondern auch auf das Wissen und die Wahrnehmung. Denn ein gutes Kunstwerk ist Wissen und Wahrnehmung in einer ästhetischen Form. Wir schenken Deutschland eine kulturelle Konkurrenzfähigkeit durch das Entfalten neuen Wissens und neuer Wahrnehmung in diesem Land.

 

Viertens, Neoliberalismus. Wie in vielen Aspekten des biologischen und soziales Lebens bestimmt dieser leider sowohl die Entwicklung von KünstlerInnen sowie die Rezeption von Kunstwerken. Wer über mehr wirtschaftliche Ressourcen, social capital & representational capital verfügt, kann als KünstlerIn, KuratorIn oder GaleristIn einfacher auf der großen globalen Bühne auftreten und Erfolg haben. Qualität und Bedeutung des Kunstwerkes sind dabei nebenrangig geworden. Die neue Macht gilt nicht nur für Individuen, sondern auch Akademien und Strukturen der Kunstwelt. (Galerien, Museen, Sammlungen). Zum Beispiel monopolisieren wohlhabendere Akademien Kunstvermittlung durch spektakuläre Abschlussausstellungen, zu denen bekannte KuratorInnen und SammlerInnen eingeladen sind. Die Studierenden verfügen über Mittel für überdimensionale, teure Produktionen. Diese Schere zwischen industrialisierten Ländern und Lateinamerika wird in Hinblick auf künstlerische Ausbildung größer. Diejenigen, die sich eine solche Ausbildung und die Zeit nach dem Abschluss finanzieren können, werden immer weniger. Am schwierigsten ist es für und meist völlig ausgeschlossen sind alle aus Lateinamerika, die ohne großen finanzielle Ressourcen KünstlerInnen werden wollen. Wir müssen gegen diesen Gap arbeiten.


Die Reihe mit Gesprächen über Kunst heißt „Hortus Americanus“. Gibt es einen Grund für diesen Titel mit Bezug zur Pflanzenwelt?

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Hortus Americanus ist ein erster Schritt, einen Dialog zwischen KünstlerInnen und Kulturschaffenden aus Lateinamerika, die in Deutschland leben und arbeiten, zu eröffnen. Damit wollen wir die Wirkung, Gegenwart und Zukunft der künstlerischen lateinamerikanischen Diaspora in Deutschland erfassen, denn tatsächlich hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Die politischen Krisen auf dem Kontinent haben dazu geführt, dass für viele Lateinamerikaner, oftmals jung und gebildet, Deutschland zur Wahlheimat wird. Diese neue diasporische Generation verspricht große Änderungen, aber wie für Pflanzen braucht man einen Nährboden, um sich zu entwickeln. 

Die Metapher des Hortus, bzw. Garten ist vieldeutig: das Thema Natur ist in den Arbeiten der KünstlerInnen präsent, die an der Gesprächsreihe teilnehmen, wie z.B. Ausbeutung und Explotation, (wie bei Roberto Uribe und Marco Montiel Soto), Vitalismus (bei Mario Asef), Exotisierung (Barbara Marcel), das Urwissen der Indigenen (Karen P. Biswell, Elisa Balmaceda), zerstörerische Kraft (Louisa Marajo).

 

Ist das Verhältnis der Künstler aus Lateinamerika zur Natur ein anderer als in Deutschland?

 

Hortus impliziert auch Wachsen lassen. Denn in diesem „Chaos“ der Natur wird der Schönheit entsprochen. Es gibt eine große Affinität zur Natur in Deutschland, sogar im letzten Bericht des IPCC kommen viele der WissenschaftlerInnen aus Deutschland. Lateinamerika verfügt gegenüber dem wissenschaftlichen Blick aus Deutschland über den Vorteil, dass wir über Kenntnisse von Völkern verfügen, die seit mehr als 10.000 Jahren eine hervorragende Balance zwischen Natur und Mensch geschaffen haben. Jetzt zwingen uns die rapide Zerstörung und Abholzung des Regenwaldes (unsere größten Posten beim CO2 Ausstoß kommt nicht aus der Industrie, aber aus Folge der Umnutzung von Naturgebieten für Agrikultur) zu schnellerem Handeln und Umdenken als die deutschen KünstlerInnen, deren Arbeit in Bezug zur Natur steht.

 

Beobachten Sie in der deutschen Kunstszene eine Art Exotismus, was Kunst aus Lateinamerika betrifft?

 

Der Exotismus in Bezug auf Lateinamerika ist auch in großen Teilen etwas, was wir selber produziert haben. Die gesamte Marketingstrategien unserer Länder, die dazu dienen, den Tourismus und Investitionen anzukurbeln, nutzen das Konzept des „Exotischen“ in allerlei Form. Im Fall des Kunstmarktes verfolgen beispielsweise die Kunstmessen in Mexico und Bogota die gleiche Strategie. Aus dem Land einen exotischen Ort zu machen, wo die Europäer und Amerikaner bedient werden, gutes Essen bekommen, mit einem Lächeln, mit der Wärme der Sonne und unserer Herzen empfangen werden – guter Service und dazu gibt es auch Kunst. Man hat die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Konflikte verschwiegen, zu Gunsten der Vermarktung eines Klischees.

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Das Interview führte Sandra Ellegiers

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Hortus Americanus ist eine Reihe von Screenings, Sound Art & Performance Aufführungen in einem anmutenden Grünhaus. Unter einem Glasbaldachin, wohnen Zuhörer und Pflanzen den Aufführungen und Lesungen bei.

Die Talks bezwecken den ersten künstlerischen Austausch innerhalb der lateinamerikanischen Diaspora zu ermöglichen und dieses als Thema zu präsentieren. Hortus Americanus sollte insbesondere die Probleme, die historische und die jetzige Situation der künstlerischen Diaspora erfassen: wie ist die Rezeption für Kunst aus Lateinamerika in Deutschland? Und was sollte getan werden, damit diese einen besseren Zugang zu institutionellen und privaten Sammlungen bekommen?

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