Die Kunst brennt in Wolfsburg
Mit 1.000.000 % verweist die aus Venezuela stammende Künstlerin Ana Alenso auf Gewalt und Korruption als Seuchen unserer Zeit. Name der sozialen Krankheit ist „Ressourcenfluch“ oder „Dutch Desease“. Es geht um das Paradoxon, dass Länder sich trotzt großer Rohstoffressourcen aufgrund von Exporten in wirtschaftlicher und damit auch in politischer und gesellschaftliche Instabilität befinden.
Die mit einem Ehrenpreis des Berlin Art Prize ausgezeichnete Installation ist bis zum 19. Dezember zusammen mit weiteren Werken internationaler Künstler in der von Andreas Beitin, Alexander Klose und Benjamin Steininger kuratierte Ausstellung Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters zu sehen.
Sie wirft einen Blick zurück auf die seit rund 100 Jahren andauernde Erdölmoderne. Aus der Distanz einer hypothetischen Zukunft wird gefragt, was typisch war an dieser unserer Zeit, was großartig und schön, was hässlich und furchtbar, und wie sich all das in Kunst und Kultur widerspiegelt.
Die Ausstellung ist die erste historisch und geografisch umfassende Retrospektive der künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Erdöl und seinen Materialien. Von einem rund 200 Millionen Jahre alten Ichthyosaurier bis hin zu einer Computersimulation: Komplex und vielfältig wie nie zuvor bieten rund 220 Gemälde, Skulpturen, Installationen, Videos, Fotografien, eigens für die Ausstellung geschaffene Kunstwerke sowie technische und naturwissenschaftliche Objekte einen Einblick in das globale Erdölzeitalter.
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Kunst ist immer auch Teil der Ökonomie. Um Kunst zu machen, müssen Überschüsse zunächst erwirtschaftet werden. In der Petromoderne ist Ölgeld eine zentrale Grundlage künstlerischer Produktion. Und diese nicht selten problematische und korrumpierende Verstrickung ist selbst Thema der Kunst: Dass fast alle Biennalen, Ausstellungen, Stipendien direkt oder indirekt petromodern finanziert waren, ist in einer Retrospektive auf die Kunst der Petromoderne immer mitzudenken.
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Kein anderer Stoff wird die Gesellschaften im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert so geprägt haben wie das Erdöl. Flugzeuge, Panzer und Weltraumraketen, Autobahnen, Shopping Malls und Vorortsiedlungen, Nylonstrümpfe, Plastikberge und Vinyl – zentrale Materialien und Technologien, Lebensweisen und Visionen unserer Zeit verdanken sich der Energiedichte und Wandelbarkeit von Erdöl. Jetzt zeichnet sich jedoch die Dämmerung des „Ölzeitalters“ ab, auch wenn dessen Ende weder genau datiert noch in seinen Auswirkungen abgeschätzt werden kann. Die Ausstellung Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters wirft daher einen spekulativen, poetischen Blick zurück auf die seit rund 100 Jahren andauernde Gegenwart der Erdölmoderne. Aus der Distanz einer hypothetischen Zukunft wird gefragt, was typisch war an dieser unserer Zeit, was großartig und schön, was hässlich und furchtbar, und wie sich all das in Kunst und Kultur widerspiegelt.
Grundlegend ist die Beobachtung eines tiefen Zwiespalts: Benzin und Kerosin, Plastik, Asphalt und Kunstfasern standen im Erdölboom der 1950er- und 1960er-Jahre für die futuristischen Versprechen unbegrenzter Mobilität, individueller Freiheit sowie uneingeschränkter Wandlungsfähigkeit. Heute verbindet man mit ihnen globale Verteilungskämpfe und Müllberge, Klimaerwärmung, Meeres- und Luftverschmutzung.
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Die Ausstellung fokussiert all das aus einer fiktiven archäologischen Ferne und sucht zugleich eine thematische und emotionale Nähe: Jenseits festgefahrener Ideologie konfrontiert sie künstlerische Arbeiten mit Naturwissenschaft und Technik, Politik und Alltagsleben, mit Wissen, Praktiken und Apparaten aus Chemie, Bohrwesen und Geologie, aus Arbeitsalltag und Popkultur, aus Industrie und Kulturtheorie. Bekannte und weniger bekannte künstlerische Werke sowohl aus dem Kanon der westlichen Moderne als aus Ölregionen rund um den Globus werden im schwarzen Spiegel des Öls neu betrachtet und mit aktuellen künstlerischen Positionen in Beziehung gesetzt.
Der zeitliche Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf den Jahrzehnten zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und heute. Die vorgestellten kultur‑, technik- und erdgeschichtlichen Konstellationen reichen aber einerseits über Mittelalter und Antike bis in die Frühgeschichte der Kultur und des Lebens zurück und greifen andererseits Entwicklungen vor, die hunderte oder sogar tausende Jahre in die Zukunft reichen können.
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Dergestalt zeigt die Ausstellung die weltweit erste Retrospektive der weltumspannenden Erdölmoderne.
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Zur Ausstellung erscheint im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln, eine umfangreiche, transdisziplinäre Publikation in deutscher und englischer Sprache, herausgegeben von Andreas Beitin, Alexander Klose und Benjamin Steininger, gestaltet von Jan Kiesswetter. Das Buch stellt ein umfassendes Kompendium der Kunst in der internationalen Erdölmoderne dar und behandelt auch Arbeiten, die in der Ausstellung nicht gezeigt werden können. Im Spiegel der Kunstwerke werden gesellschaftliche, ökonomische, politische und kulturelle Bedingungen in verschiedenen zeitlichen Abschnitten und in verschiedenen regionalen Ausprägungen der Erdölmoderne rund um den Globus sichtbar.
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Eine Reihe international renommierter Autor*innen wird sich aus ihrer jeweiligen Perspektive mit künstlerischen Positionen der Erdölmoderne auseinanderzusetzen, darunter u.a.: Akintunde Akinleye (Lagos), Leila Alieva (Oxford), Jan von Brevern (Berlin), Heather Davis (New York), Elena Engelbrechter (Hannover), Christoph Engemann (Berlin), Timothy Furstnau (Windham/New York), Eckhart Gillen (Berlin), Rüdiger Graf (Berlin), Helmut Höge (Berlin), Isabel Piniella (Luzern), Karen Pinkus (New York), Christian Schwarke (Dresden) , Suwarno Wisetrotomo (Yogyakarta/Java) und Susanne Witzgall (München).
Gerrard, John, Western Flag (Spindeltop Texas), 2017
Blick in die Ausstellung Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters
Ana Alenso, 1.000.000%, 2018
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Venezolanische Geldscheine, Ölfass, Falschgelddetektor, Altmetall, Laubbläser, Staubsauger, Tintenstrahldruck auf Leinwand, LED-Lampe, Leuchtstoffröhre, PVC-Kabine, MP3-Player Verstärker, Arduino Interface, Schallwandler, Dimensionen variabel.
Courtesy die Künstlerin, gefördert durch die Stiftung Kunstfonds sowie durch Neustart Kultur
©Ana Alenso, Foto: Marek Kruszewski